Prof. Dr. Jürg Kesselring:
 WAHRNEHMUNG VON RAUM UND ZEIT - DIE NEUROLOGISCHE PERSPEKTIVE (abstract)

Eine akkurate Wahrnehmung von Raum und Zeit ist eine lebensnotwendige Eigenschaft, die sich im Laufe
der Kindheit entwickelt und die zeitlebens verbessert werden kann. Auch solche Wahrnehmungen werden, wie alle Wechselwirkungen des Organismus mit der Umwelt  vom Gehirn verarbeitet und gesteuert.
Das Gehirn ist das Organ des (lebenslangen) Lernens und dies muss entsprechend immer geübt werden.

Die Raumwahrnehmung bezieht sich zunächst auf den eigenen Körper, wobei der Raum "vorne" vom Raum "hinten" in Bezug auf die Körpermitte unterschiedlich erfasst wird. Weiter ist es der Raum, der durch direkte Aktivitäten, d.h. durch Kontakt, bzw. durch Vermittlung von Instrumenten und Werkzeugen beeinflusst werden kann ("Perisoma") und dann weiter der sehr weite Raum, aus dem Informationen über die Sinneskanäle aus unterschiedlichen Distanzen wahrgenommen werden und Handlungen nur über die Vermittlung von Werkzeugen ausgeübt werden können.

Die Raumwahrnehmung wird hauptsächlich über das Tasten und Sehen vermittelt, die Zeitwahrnehmung über Gehör und Gleichgewicht, denn "das Gehirn spricht in Rhythmen".  Auf der Zeitachse lassen sich aus der Vergangenheit Ereignisse in ihrer Dauer und in ihrem Zeitpunkt erinnern, in die Zukunft durch Antizipation Handlungsereignisse als Konsequenzen zum Teil vorhersehen. Es bleibt aber ein grosser "Spielraum" der Erinnerungslücken bzw. der Unvorhersehbarkeit, der das Lebend spannend oder belastend machen kann. Entwicklungshemmungen oder neurologische Erkrankungen können zu Störungen des Zeit- und Raumempfindens mit entsprechenden Konsequenzen für die Handlungsfähigkeit führen, die das Ich-Erleben beeinträchtigen.